G8 – Die Medien und die Vierte Gewalt

Ein objektiver und investigativer Journalismus klärt auf, fasst zusammen, recherchiert und unterstützt so eine unabhängige, überparteiliche und differenzierte Meinungsbildung der Bürger. Nur wie sieht es mit der Berichterstattung im Rahmen des G8 Gipfels in Heiligendamm aus? Werden die Medien dieser Aufgabe gerecht?

Nein! Das Bild der klassischen Medien als Kontrollorgan der staatlichen Macht kann nur blamabel und indiskutabel genannt werden.
Insbesondere die Online-Medien versuchen, durch Live-Ticker wie auch durch aktuelle, zumeist kurze Artikel das Informationsbedürfniss zu stillen und einen aktuellen Überblick über die Lage und die Entwicklung des Geschehens zu vermitteln. Hierfür werden Informationen von Presseargenturen, Pressemeldungen der beteiligten Parteien wie auch die Informationen der Reporter vor Ort herangezogen.

Die Wahrheit? Diese fällt bei den in den letzten Tagen zu verzeichnenden Journalsimus unter den Tisch! Sorgfalt? Investigativer Journalismus? Auch öffentlich-rechtliche Sendeanstalten, deren Rolle als vierte Gewalt im Staat vielfach als Argument für die  Rundfungebühren herangezogen wird, zeigten und zeigen vielfach eine Ignoranz und mangelnde Sorgfalt, die erschreckend ist. Da werden einfachste Recherechen unterlassen; im Minutentakt werden z. T. wiedersprüchliche Informationen in den Äther geblasen; Artikel werden nachträglich ohne Kennzeichnung geändert…. Egal, hauptsache die Schlagzahl stimmt!

Einige Beispiele…

Der Krieg und die Demonstration

Während der Auseinandersetzungen am Rande der Großdemonstration veröffentlichte die Nachrichtenagentur DPA um 18.41 Uhr eine Meldung ihres Korrespondenten Helmut Reuter aus Rostock:

Um 17.30 Uhr werden die ersten Autos angezündet, während unweit vom Tatort auf der Kundgebungsbühne ein Redner die militante Szene noch mit klaren Worten aufstachelt: “Wir müssen den Krieg in diese Demonstration reintragen. Mit friedlichen Mitteln erreichen wir nichts.”

Diese Meldung wird ungeprüft und undiskutiert durch die Medien übernommen. Spiegel Online berichtet: “[18:30] Auf der Kundgebungsbühne stachelt ein Redner die militante Szene auf: “Wir müssen den Krieg in diese Demonstration reintragen. Mit friedlichen Mitteln erreichen wir nichts.” Die gleiche Meldung wird unter anderem von ZDF Heute Journal, der Bild Zeitung und vielen weiteren Medien übernommen.

Nur, der Redner auf der Bühne ist Walden Bello, Professor für Soziologie und Träger des alternativen Nodelpreises. “Wir müssen den Krieg hier mit reinbringen. Denn ohne Frieden kann es auch keine Armutsbekämpfung geben.”, so die Aussage des Übersetzers auf der Bühne. Bellos Sätze werden Live durch Phoenix übertragen.

Der Schaden ist geschehen. Von Sorgfaltspflicht der Presse – die Veranstaltung wurde live übertragen – keine Spur. Spiegel Online braucht z. B. 23 Stunden und zwei Versuche, diese Falschmeldung in den Tiefen des Live-Tickers zu korrigieren. Andere Medien reagierten nicht.

Clowns und die Säure

Diese Clowns verstehen keine Spass“, so der Titel einer Meldung des Deutschen Depeschen Dienstes am 5. Juli. Und weiter: “Mit ihren Wasserpistolen sorgten die Clowns jedenfalls bei der Polizei für Tränen: Acht Beamte mussten sich in ärztliche Behandlung begeben, nachdem sie mit noch unbekannten Flüssigkeiten bespritzt worden waren.” Zitiert wird Polizeisprecher Lüthjan mit der Aussage, es “fallen unter den Gewaltbereiten besonders zwei Gruppen auf: der so genannte, sattsam bekannte «Schwarze Block» und eben die «Clown Army».

“Clown’s Army” sprüht Gift gegen Polizisten”, so der Titel bei Spiegel Online im Live Ticker. Und weiter “Acht Polizisten mussten zur Behandlung ins Krankenhaus gebracht werden”, sagte Sprecher Axel Falkenberg.” Ein eingeständiger Artikel vermeldet “Verkleidete Demonstranten sollen Polizisten mit Säure attakiert haben“. Im NDR wird gemeldet: “Chemische Flüssigkeiten gegen Polizisten“.

Nur, die Krankenhäuser vermelden, dass keine Polizisten mit Hautreizungen eingeliefert wurden. Die  Säure entpuppte sich inzwischen als alkalische Lösung. Auch hier hätten durch die Medien mit zwei Telefonanrufen die Pressemeldung der DDP überprüft werden können. Dies ist nicht geschehen.

Inzwischen rudern die Medien zurück. Spiegel Online ergänzt seinen Artikel mit clownfreundlichen Aussagen; die Ticker-Meldung wurde umgeschrieben und mit einem anderen Titel versehen. Der NDR tauscht den Artikel komplett aus und behauptet nun nahezu das Gegenteil. Eine Kennzeichnung der Änderungen fehlt!

Der Schaden ist geschehen. Gravierende Falschmeldungen wurden ohne Überprüfung veröffentlicht. Eine Korrektur der eigenen Veröffentlichung erfolgte sukzessive und versteckt (keine Kennzeichnung) sowie zumeist auf den nur selten besuchten Archiv-Seiten. Eine öffentlich wirksame Richtigstellung dieser Diffamierung unterblieb.

Über 1000 Verletzte

“Wollt Ihr Tote, Ihr Chaoten?”, so titelt ein vielseits für eine reisserische Berichterstattung bekanntes Boulevardblatt über die Ereignisse am Rande der Großdemonstration am Samstag in Rostock. Auch die anderen Medienanstalten überbieten sich in der Berichterstattung über die Anzahl der Verletzten wie auch der Schäden.

Von NDR, Spiegel bis hin zur der Sueddeutschen und vielen weiteren Pressemedien wurde diese Meldung in die Welt posaunt. Von über 30 Schwerverletzten war die Rede. Jetzt, einige Tage später, dringen erste zaghafte Meldungen an die Öffentlichkeit, dass diese Zahlen falsch sind. Wie auf Telepolis durch Forian Rötzer zusammengefasst, vermeldete Stern 2 Tage nach den Ereignissen “Zahl der Verletzten zweifelhaft“. Focus, wie auch Spiegel Online melden inzwischen das nur zwei Polizisten stationär behandelt wurden.

Dennoch, der Schaden ist geschehen. Angeheizt durch die erschreckende Berichterstattung wurde durch Politiker, Bürger wie auch die Medien eine Diskussion über die Aufrüstung der Polizei mit Gummigeschossen sowie den Einsatz der GSG9 bei Demonstration angefacht. Noch schlimmer, selbst die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zum Verbot des Sternmarsches wurde durch die vermeldete Gewalt deutlich beeinflusst. So schreibt nach SPON das BVG in seiner Erklärung: “Angesichts der Ausschreitungen von G-8-Gegnern lehnten sie es jedoch ab, den Sternmarsch per einstweiliger Verfügung zu ermöglichen.

Sieht so verantwortungsvoller Journalismus aus? Nein!

Selbst mir als moderat demonstrationserfahrenem Bürger ist bekannt, dass bei Demonstrationen Verletztenzahlen vielfach inkorrekt oder schlichtweg falsch sind. Castor-Transporte seien hier nur beispielhaft genannt. Bestenfalls kann man in diesem Fall das Verhalten der Journalisten als Unfähigkeit werten, schlimmstenfalls als politisch motivierte “Brandstiftung”. Ersteres wirft die berechtigte Frage nach der Qualifikation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für die Erfüllung des Rundfunkauftrages auf. Letzteres würde die Legitimierung der Presse vollständig in Frage stellen.

Zu Meldungen am Samstag über eine vollständig verwüstete Innenstadt, zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen und einer ungekanten Brutalität nur soviel: Die Gewaltausschreitungen waren auf ein an die Innenstadt angrenzendes Gebiet von der Größe eines Fußballplatzes beschränkt. Inwiefern zwei brennende Autos und eine Mülltonne als Bürgerkrieg angesehen werden können…
das kann jede Studentendemonstration in einer französischen Kleinstadt überbieten Vom 1. Mai in Berlin gar nicht zu reden.

Die Montagsdemo

Am Montag, dem Demonstrationstag zum Thema Migration, fand unter anderem eine Demonstration von der zentralen Sammelstelle für Asylbewerber in der Satower Straße über die Innenstadt zur Abschlusskundgebung am Stadthafen statt. bereits am vormittag zog ein Demonstrationszug von der Ausländerbehörde in der Werftstraße zum Sonnenblumenhaus in Lichtenhagen.

Erstaunlich war die identische Meldung von z. B. Spiegel Online, Stern oder NDR über eine Demonstrationszug von der Ausländerbehörde zum Stadthafen. Dies mag eine kleine Ungenauigkeit sein, zeugt aber dennoch von fehlender Sorgfalt. Eine Auseinandersetzung mit dem Geschehen fehtl. Ein Blick in das Veranstaltungsprogramm hätte geholfen.

Update: Inzwischen ist der Fehler  – wiederum ohne Hinweis – vielfach korrigiert.

Ja was denn nun?

Verletzte Polizisten mit Helikoptern ausgeflogen“, so meldet der Spiegel Online Ticker gestern um 14:15 Uhr und bezieht sich hier auf eine DPA Pressemeldung. Nur wenig später, um 15:23 Uhr wird vermeldet: “Polizei: Keine Verletzten ausgeflogen“.

Ja was denn nun? In diesem Fall zeigt sich, dass ein reflektiver und kritischer Journalismus nicht gegeben ist. Vielmehr werden Informationen aus nicht bestätigter Quelle schnellstmöglich weitergegeben. Es ist verständlich, dass die Berichterstattung aus einer turbulenten und nicht immer offensichtlichen Situation nicht immer einfach ist. Aber sollte dies nicht Anlass zu besonderer Sorgfalt sein? Viele Medien meinen offensichtlich Nein!

… und ein Fazit

Obige Beispiele sind nur einige von vielen Verfehlungen der Medien. Viele dieser Falschmeldungen sind entstanden aus einem blinden und unreflektierten Vertrauen auf die Berichterstattung der Presseagenturen. Diesen wird de facto ein “Faktenmonopol” gewährt. Eine kritische Hinterfragung geschweige denn eine Dokumentation von wiedersprüchlichen Informationen bleibt zumeist aus.

Noch schlimmer, vielfach werden selbst durch Reporter vor Ort eben diese “Fakten” der Presseagenturen verlesen. Eine eigene Recherche – die durch die Präsenz in unimittelbarer Nähe vor Ort (!)leicht gegeben wäre – unterbleibt. Als Beispiel sei hier nur die Aussage eines Reporters im NDR Nordmagazin zur Situation vor einem Gate am Zaun von Heiligendamm gestern abend erwähnt.

Eine kritische Hinterfragung von Aussagen unterbleibt. Beispielhaft sei nur die Presseerklräung #80 der Einsatzleitun Kavala genannt. “Die Polizei Rostock, BAO Kavala, hat soeben festgestellt, dass Teilnehmer … sich mit Molotow-Cocktails bewaffnen und Steine aufnehmen.” Eine Erklärung, wie im Wald eine Bewaffnung mit Molotow-Cocktails möglich sein soll bzw. wie derartige Waffen durch massives Polizeiaufgebot zu den Demonstranten gelangen, unterbleibt. Nein, die Meldung wird entsprechend 1:1 übernommen und verteilt wie auch hier zu sehen.

Abschliessend kann ich nur den Spiegelfechter zitieren:

Wenn Nachrichtenagenturen und die Medien selbst Verlautbarungen von Pressesprechern der Polizei ungeprüft als Faktum darstellen, so versagen sie in ihrer Aufgabe als vierte Gewalt, die die Staatsmacht kontrollieren soll. Und paradoxerweise sind es die Bürger selbst, die mittels Blogs, Foren und anderen Plattformen die Medien kontrollieren. Dies ist die Gegenöffentlichkeit gegen das Meinungsmonopol, die ein Ideal von „Web 2.0“ ist. Wer überwacht die Wächter? Es sind wir!

Handtaschenräuber, Handtaschenräuber,
überall, überall Handtaschenräuber!

Da hilft nur noch Hubschraubereinsatz,
Hubschraubereinsatz!

Quelle: Foyer des Arts